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In der hutterischen Gemeinde |
Die drei Wochen
Winnipeg sind wie im
Flug vergangen. Ich bin jung, sehr jung, doch ich merke langsam, dass
ich mir die Angewohnheiten meiner Eltern und Großeltern aneigne. Und
eine davon ist es, nicht zu fassen, dass Minuten, Stunden, Tage
tatsächlich vorüberziehen, als wären sie ein Windhauch.
Für den letzten Tag hat sich meine
Gastfamilie etwas ganz Besonderes ausgedacht. Kaum zu glauben, dass
diese drei Wochen noch zu toppen sind. Wir besuchen die Angela, was
Oma bedeutet. Auf hutrisch (huterisch, huttererdeutsch???). Und die
lebt in einer ganz anderen Welt.
Die Hutterer-Gemeinde kommt eigentlich
aus Süddeutschland und ist, durch Krisen und Krieg, nach 200 Jahren
Wanderschaft im Norden der USA und Kanada gelandet. Sie leben ganz
für sich von ihren eigenen angebauten Lebensmitteln und den Tieren
in ihrem großen Stall. Es ist nicht ganz wie bei den Amish, denn sie
nutzen die Technik, um im Stall und in der Wäscherei effizienter
arbeiten zu können. Kontakt nach außen haben nur wenige Männer,
die überschüssige Lebensmittel und eigens angefertigte Werkzeuge
verkaufen.
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Der eigene Stall zur Versorgung der Gemeinde |
Wir fahren einen langen Feldweg
entlang. Links und rechts wird die Straße von Getreidefeldern
gesäumt, man sieht immer mal einen vereinsamten Traktor. In der
Gemeinde angekommen, springen meine „Gastgeschwister“ aus dem
Auto und beginnen sofort mit den Huttererkindern zu spielen. Erstaunt
schaue ich mich um. Man sieht eine Ansammlung von kleinen, grauen
Häusern. Sie sehen nicht sehr stabil aus. Zur Zeit sind es 30° und
die Sonne scheint unentwegt, aber schon in 3 Monaten wird für ein
halbes Jahr der Winter einbrechen und das nicht zu knapp. Ich kann
mir kaum vorstellen, hier bei 2 m Neuschnee zu leben.
Angela, in ihrem knöchellangem blauem
Stoffkleid und dem dazu passenden Kopftuch, freut sich ihren Sohn zu
sehen. Allzu oft kommt Jonathan nicht hier her, denn er ist hier
nicht gerne gesehen. Als „Flüchtling“ wird er akzeptiert, mehr
nicht. Angela hat viele Kinder, nur ein Sohn ist in der Gemeinde
geblieben. Mit kariertem Hemd und dreckigen Stoffhosen kommt er uns
freundlich entgegen.
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Die gemeindeeigenen Felder |
Wir gehen in das Haus, das Essen
köchelt schon auf dem Ofen aus den 60-er Jahren. Sieht gut aus. Es
ist sehr sporadisch eingerichtet, für mich müssen wir einen Stuhl
von den Nachbarn holen. Jeder hat genau so viel wie er braucht.
Angela zeigt mir stolz ihre Wohnung und Bilder von ihrem Mann und den
Kindern. Sie spricht das Deutsch, was sie in der Schule gelernt hat,
aus Büchern, die fast hundert Jahre alt sind. Wirklich verstehen
kann ich sie nicht. Also lächle ich nett. Einen Fernseher, der
mindestens doppelt so viele Jahre auf dem Buckel hat wie ich, hat sie
auch. Hier gibt es nur wenige Fernsehsender, die der Pfarrer
genehmigt.
Es gongt. Zeit fürs Abendbrot. Bei
Besuch darf zu Hause gekocht und gegessen werden, die anderen
Bewohner trollen sich zur Speiseküche, Männer und Frauen sitzen
getrennt, die Kinder haben einen eigenen Raum, wo eine Lehrerin der
Gemeindeschule auf sie achtet. Jede Frau ist mal dran mit Koch- und
Waschdienst, gewechselt wird wöchentlich.
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Sonnenuntergang in Kanada |
Nach dem Abendessen zeigt man mir die
Umgebung. Alle sind sehr nett und erklären mir, wie sie hier leben.
Sie wollen deutsch sprechen und ich erzähle ihnen von Deutschland.
Und Winnipeg, denn die wenigsten waren schon dort, obwohl es nur eine
halbe Stunde entfernt liegt. Wir setzen uns auf die Ladefläche eines
alten Pickups und fahren zu den Feldern runter. Und dann geht es los.
Wir sammeln Obst und Gemüse. Das dürfen wir heute Abend mit nach
Hause nehmen. Und ich esse. Himbeeren, Erdbeeren und Erbsen. Halt
alles was ich kriegen kann. Wir sollen uns beeilen, denn bald gehen
die Wassersprinkler an, aber ich hab es nicht eilig.
Die Sonne
versinkt orange in den Feldern und ich bekomme schon jetzt Sehnsucht
nach Kanada.
Zum Abschied bekomme ich von Angela
noch 2 Paar gestrickter Hausschuhe. Es sind die bequemsten die ich je
hatte
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